ENDLESS STRUCTURES – Deutsch
Die Ausstellung ENDLESS STRUCTURES beschreibt die Faszination vieler Künstler*innen von der Erfahrung der Freiheit, die charakteristisch ist für die geometrische Sprache.
Kasimir Malewitsch, einer der Väter der geometrischen Sprache, definierte seine Kompositionen als eine Form der Emanzipation, die nach einem Ideal der Fülle strebt. Für den Russischen Künstler genossen die bildhaften Formen, der narrativen Sprache – die er als überflüssige Last ansah – entledigt, die Erfahrung reiner Freiheit.
Unter der rigorosen Anwendung mathematischer Prinzipien verfügt die geometrische Sprache über die außergewöhnliche Fähigkeit, mittels Vorgaben wie Rhythmus, Wiederholung oder Systematisierung, offene Kompostionen zu konstruieren, die sich bis ins Unendliche weiterentwickeln können. Wenn man Kunst als eine Form freier Schöpfung definieren kann, so ist die geometrische Kunst geradezu der Inbegriff dieser Erfahrung unbegrenzter Freiheit.
Diese Austellung präsentiert die Werke von vier Künstlerinnen, in denen sich die totale Offenheit, die der geometrischen Sprache eigen ist, manifestiert.
Helga Philipp (Wien, 1939-2002) und Gizella Rákóczy (Budapest, 1947-2015), heute konsolidierte Persönlichkeiten mit Werken in vielen Museen und künstlerischen Institutionen, gehören zur noch nicht so weit zurückliegenden Generation, als die Präsenz von Künstlerinnen in der Öffentlichkeit noch äußerst schwach war. Sowohl Philipp als auch Rákóczy haben im Laufe ihres Lebens wertvolle pädagogische Arbeit geleistet, was vielleicht der Grund ist, weswegen man bei vielen ihrer Werke beobachten kann, dass der Prozess wichtiger ist als das eigentliche Resultat. Diese Ausstellung zeigt ein retrospektivisches Panorama beider Künstlerinnen, mit der Absicht die Gesamtheit ihres Werks zu berücksichtigen.
Das Werk der beiden Künstlerinnen der Gegenwart, Kamila Szij (Budapest, 1957) und Esther Stocker (Schlanders, 1974), soll bei dieser Gelegenheit auf einzigartige Weise ausgestellt werden: Die Kunstschaffenden wurden ersucht, jeweils ihre repräsentativsten Werke auszuwählen und diese dann in Form einer Installation zu präsentieren, die für einen bestimmten Raum gedacht ist.
Gizella Rákóczy (Budapest, 1947-2015)
Ebenso wie ihre Arbeit als Pädagogin wird auch das Werk Gizella Rákóczys bewertet als einer der einzigartigsten Beiträge im Bereich der abstrakten, geometrischen Tendenzen innerhalb der ungarischen Kunst der letzten Jahrzehnte.
Schon in den frühesten Arbeiten Gizella Rákóczys, die vom Ende der Siebzigerjahre stammen, beispielsweise in den Skizzen von Designs für Mosaikböden- oder Wände, welche die Künstlerin damals anfertigte, begegnet man der Vorstellung von der Wiederholung eines Motivs mit der Andeutung von Strukturen, die sich bis ins Unendliche entwickeln können. Die Künstlerin beginnt ihre ersten plastischen Experimente mit der Rotation eines Elements, was sie weiter dazu führt, ein Interesse für komplexere, mit der Mathmatik verbundene, kombinatorische und algorithmische Prozesse zu entwickeln, die sie in die Sprache der Malerei überträgt.
Schon sehr bald beginnt die Farbe eine grundlegende Rolle im Werk Gizella Rákóczys zu spielen und wird zu einem Schlüsselelement als Teil der kombinatorischen Dynamiken, mit denen die Künstlerin arbeitet. Die Verwendung von Farbe in Form von in Wasser aufgelösten Pigmenten (Tempera, Aquarelle) erlaubt ihr, sehr leuchtende Tonalitäten mit äußerst subtilen chromatischen Unterschieden zu schaffen. In dieser Ausstellung wird das Werk 96 N (1998) gezeigt, das aus 96 Stücken besteht – das Resultat einer Kombinatorik anhand von verschiedenen Farbebenen – und das über zwölf Meter Gesamtlänge erreicht.
Bei einer bestimmten Gelegenheit entdeckt Rákóczy in einem Buch über spirituelle Symbole ein Kreuz keltischen Ursprungs und dieses wird ein Motiv, das die Künstlerin wiederholt verwendet. In ihrem Lebens tritt noch ein anderes Motiv mit großer Symbolkraft hervor: Die Spirale, Symbol des Okkulten, aber auch der Existenz innerhalb des Zyklus des Lebens und der ewigen Wiederkehr. Ein Motiv, das man in ihren letzten künstlerischen Produktionen fast mit Ausschließlichkeit antrifft. Das Labyrinth – eine Weiterführung der Form der Spirale – ist auch, laut anderen Kulturen, eine Metapher für die Erkenntnis und die dem Individuum eigene Suche.
Helga Philipp (Wien, 1939-2002)
Das Werk Helga Philipps tritt Mitte der Sechzigerjahre an die Öffentlichkeit, sie wird als Pionierin des Op-art und der konkreten Kunst innerhalb Österreichs betrachtet. Ihre Tätigkeit als Dozentin an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien stellt einen wichtigen Einfluss dar, der von einer ganzen Generation österreichischer und mitteleuropäischer Künstler*innen anerkannt wird und bis in unsere Tage fortwirkt.
Die ersten Werke Helga Philipps zeichnen sich schon durch ihre Originalität aus und sind manchmal schwer zu klassifizieren, weil ihr Format mehr einer Skulptur gleicht (Serielle Struktur, 1973), beziehungsweise wegen ihrer Beschaffenheit als konkret-greifbare Objekte. Hier liegt immer eine spielerische Komponente und eine leichte Zugänglichkeit vor.
Besonders hervorzuheben ist das Stück Domino (1985-1987). Es besteht aus Einheiten, die – so wie bei dem bekannten Spiel – der vorhergehenden oder der nachfolgenden Einheit entsprechen können, so dass das Werk bei jeder Ausstellung eine unterschiedliche Anordnung aufweisen kann.
Das Werk Helga Philipps gab den kritisch-analytischen Standpunkt jener Medien, mit denen sie arbeitete, niemals auf und war stets von einigen unveränderlichen Grundprinizipien bestimmt: die ausschließliche Verwendung geometrischer Formen, die Sparsamkeit bei den Elementen, die Wiederholung und die Serienbildung, ebenso wie die formalen Interaktionen und die chromatische Vibration.
Mit der Zeit reduzierte die Künstlerin das Experimentieren mit neuen Materialien und ihr Werk, nüchterner jetzt, bot der Betrachterin die Freude der Entdeckung subtiler Details, die sich beim ersten Blick der Aufmerksamkeit entziehen: assymetrische Kompositionen, die unerwartete Verschiebungen aufweisen, Formen, die sich in vertikaler oder horizontaler Richtung entwickeln und plötzlich von schräg stehenden Elementen geschnitten werden, etc. Viele ihrer Werke reduzieren sich jetzt farblich auf Weiß, Schwarz und Grau.
Zum Abschluss des Rundgangs wird als Metapher für ihre abgeklärte Reife eines der Spätwerke der Künstlerin gezeigt, wo das dynamische Prinzip, das die ersten Stücke dominiert hat, zu verschwinden scheint. Dieses Werk besteht aus Quadraten mit einer klaren Vorherrschaft der niederen horizontalen Linien, die der Komposition Stabilität verleihen. Zwei Farben: ein intensives Blau und ein Schwarz auf der Basis von dicken Pinselstrichen. Farbe, Textur und Form erlangen in diesem Malerei-Objekt ein Gesamtgleichgewicht, das den Charakter eines religiösen Andachtsbildes erwirbt, das wirkt, als sei es zu seiner Kontemplation erdacht.
Kamila Szij (Budapest, 1957)
Mit einer langen Erfahrung auf dem Gebiet des Stichs und anderer grafischer Verfahren, entwickelt sich das Werk Kamila Szijs hauptsächlich mittels Bleistiftzeichnungen auf Papier als Unterlage. Das ist auch die Technik, welche die Künstlerin – in Form einer Installation – für das Werk verwendet, das sie im Raum dieser Ausstellung präsentiert.
Es handelt sich um Zeichnungen mittels Bleistift, minuziös und detailliert, die sich auf Papier-Blättern, die eine Länge von bis zu drei Metern erreichen, weit über die Wände erstrecken; Linien und Punkte – miteinander in Beziehung stehend – in einem enormen Netz aus Elementen, das sich noch um viele Meter verlängern könnte.
Jede einzelne Zeichnung lädt zu einer Form der Meditation ein: Die Betrachterin entdeckt die systematische Anordnung von miteinander verbundenen Linien und Punkten, die an einem hochentwickelten Prozess teilnehmen – geduldig, beharrlich – , in dem es auf subtile Weise zu leichten Veränderungen und kleinen Verschiebungen kommt. In jeder Zeichnung gelingt es der Künstlerin, einen gesamten Mikrokosmos zu erschaffen, der die Betrachter dazu inspiriert, sich das ganze Universum – verlängert bis ins Unendliche – vorzustellen.
Esther Stocker (Schlanders, 1974)
Das Werk Esther Stockers wirft eine Frage auf, die in der Geschichte der Malerei klassisch ist: Es geht um den Prozess der Beziehung zwischen der Sicht und der intellektuellen Erfassung des Gesehenen. Das Problem von dem auf der Leinwand “Abgebildeten” und dem im Geist “Vorgestellten” findet in den Malereien Esther Stockers seinen Niederschlag, die aus Anordnungen geometrischer Elemente bestehen, die – in Form und Farbe stets auf das Wesentlichste reduziert: Weiß und Schwarz – und ausgehend von reinen Relationen zwischen Ebenen, Segmenten und Linien, eine autonome Beziehungsstruktur konstruieren, welche die Illusion eines Raums erschafft.
Die Arbeit, die Esther Stocker in lezter Zeit vorantreibt, beinhaltet eine neue Herausforderung: Sie lässt diese Struktur von geometrischen Elementen aus der Unterlage der Leinwand heraustreten, um sie auf Objekte, welche sie erdenkt, auszuweiten; diese Objekte haben alle verschiedene Formen und Abmessungen und man könnte sie definieren als Skulpturen zur Betrachtung, Gegenstände zur Handhabung oder Möbelstücke zum Sitzen und Verwenden.
Für die Ausstellung hat die Künstlerin diese Objekte strategisch auf dem Boden verteilt oder sie zu ihren Leinwände gehängt. Aus dieser einzigartigen Anordnung von Objekten und Gemälden – alle auch durch eine unterschiedliche geometrische Struktur gekennzeichnet – entstehen neue Formen des Erfassens des Raums. Diese Wahrnehmung des Raums, der die Betrachterin umgibt, scheint nun ihre Grenzen verändert zu haben: Die traditionellen Perspektiven brechen, ebenso wie das Verhältnis zwischen den Objekten und ihren Proportionen, und das Gesamte wird völlig verwandelt.
Ein weiterer Schritt im Werk Esther Stockers, der mittels der extremsten formalen Vereinfachung eine radikale Umordnung in der Wahrnehmung des Raums erreicht.
Aus dem Katalanischen übersetzt von Heinrich Blechner
Related Posts
E. Krystufek – Spanish
ELKE KRYSTUFEK: IDENTIDAD Y REPRESENTACIÓN Ella se expone, se representa. Ella misma, al natural, es puro espectáculo. Su trabajo es siempre un...
Read MoreArcadia in Decay – German
Arcadia in Decay – German Zu den typischen und faszinierendsten Elementen der Landschaften der Romantik im neunzehnten Jahrhundert zählen ...
Read MoreModern-day painting in Vienna – English
MODERN-DAY PAINTING IN VIENNA Currently, a great deal of the painting produced in Vienna maintains an interesting stance a propos the whole probl...
Read More
Sorry, the comment form is closed at this time.