Greetings from Vienna German
Die Vedute des achtzehnten Jahrhunderts –Malereien, die als Andenken an die besuchte Stadt von den privilegierten Reisenden, die die Grand Tour des europäischen Kontinents machten, erworben wurden –stellten die Landschaft auf eine charakteristische Art und Weise dar. Es waren Panoramaansichten der Stadt, die von einem einzigen, unmöglichen Standpunkt aus die symbolträchtigste Architektur abbildeten. Es lässt sich behaupten, dass von dieser „konstruierten Landschaft“ der Stadt eine fortlaufende Linie existiert, die sich während des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts weiterentwickelte.
Einhergehend mit dem Wachstum des massiven Tourismus wurden die Postkarten beliebt:
Fotografien im Standardformat und von guter Druckqualität, die eine „konstruierte Landschaft“ mit der charakteristischen Architektur abbilden. Diese „konstruierte Landschaft“ ist in der Gegenwart dank der Tour Operators das Klischeebild, das man von vielen europäischen Hauptstädten in sich trägt.
Jede Art und Weise, ein Territorium darzustellen, bedeutet, eine Kartografie von diesem zu erstellen, das heißt, es werden manche Daten registriert und andere fallen gelassen. Jede Darstellung eines Raumes bedeutet in gewisser Weise, eine symbolische Konstruktion desselben durchzuführen. Diese symbolische Konstruktion schafft einen bestimmten Sinn. Was einem als Landschaft erscheint ist nicht so sehr dis physische Umwelt, die einen umgibt, sondern ein geistiges Konstrukt, das die gesamte Tradition kultureller, ästhetischer und wahrnehmungsbezogener Werte beinhaltet, welche die Geschichte rund um diesen Begriff geprägt hat. Wenn es um den Symbolwert städtischer Landschaft geht, so bildet die Architektur eine grundlegende Achse.
Greetingsfrom Vienna (Deconstructing Landscape) stellt die Arbeit von vier Künstlern vor, die in Wien leben und die vom Standpunkt der gegenwärtigen Wirklichkeit aus ein Bild dieser städtischen Landschaft entwerfen. Die Wandlung der Gewohnheiten und der fotografischen Erzähltechniken zieht bedeutende Veränderungen in der Art und Weise, Landschaft darzustellen, nach sich, wobei vor allem die Verwendung digitaler Technologien hervorzuheben ist. In Bezug stehend mit der Postkarte –dem statischen Klischeebild Wiens- wird die Stadt heute in dieser Ausstellung anhand einer Heterogenität architektonischer Schauplätze dargestellt. Dies geschieht mittels dynamischer Bilder, die widergespiegelt, fragmentiert, einander gegenübergestellt, geschnitten undrekodifizert werden…
Georgia Creimer (São Paolo, 1964) präsentiert in dieser Ausstellung digitalisierte analoge Bilder oder solche, die direkt mit dem Iphone aufgenommen und auf Papier gedruckt wurden. Es handelt sich um das Werk „Vestiges“, das eine besondere Art wiederspiegelt, die Architektur, welche die Stadt identifiziert, darzustellen: der Vordergrund einer Mauerspalte, welche den Lauf der Zeit zeigt, die Silhouette eines Skulpturfragments mit frisch gefallenem Schnee, dessen Weiß für einige Stunden zum Teil seines Profils wird, verschiedene Bodenoberflächen mit frischen Fettflecken oder solchen von Hundeurin…es sind Bilder, die anonyme und auf den ersten Blick unbedeutende Spuren der Stadt festhalten. Details dieser „Vestiges“, bis zu enormen Proportionen vergrößert, bekommen einen neuen Sinn: Es entstehen abstrakte, suggestive Formen, die eine absolute Interpretationsfreiheit erlauben und so eine Erzählung in der ersten Person von der Wiener Landschaft erschaffen.
Die Schnelligkeit der Ortsveränderungen und die sofortige Lokalisierung, die heutzutage die GPS-Navigationsgeräte ermöglichen, scheinen Auswirkungen auf die Art und Weise, wie man sich durch die Stadt bewegt, zu haben. Leopold Kessler (München, 1976) präsentiert bei dieser Ausstellung ein Video, das den Künstler bei der mühsamen Arbeit, ein Kabel zu verlegen, zeigt. Dieses ist mehr als einen Kilometer lang und verbindet zwei Orte seines gewohnten Weges durch die Stadt, und zwar sein Heim mit der Universität. Es ist also möglich, Schritt für Schritt und in menschlicher Geschwindigkeit, die Arbeit einer Kabelverlegung zu verfolgen, deren markierter Kabelverlauf eine Art von „berechneter Route zum Ziel“ zwischen zwei Punkten einer Ebene herstellt. Bei dieser Aktion Leopold Kesslers –in diesem seiner Arbeit eigenen trockenen Humor- werden viele Elemente des urbanen Mobiliars als essentieller Teil der Topografie der Stadt festgehalten. Es ist eine Sicht auf Wien, die man selten betrachtet.
Silke Maier-Gamauf (Nenzing, 1969) schlägt eine einzigartige Sicht auf Wien vor, bei der sie die Elemente, die seine typische Darstellung bilden, verändert. Die wissenschaftlichen Theorien über die menschliche Wahrnehmung unterscheiden die Objektivität dessen, was die Netzhaut registriert, von der Subjektivität der Seherfahrung. Das Auge unterteilt die Wahrnehmung immer derart, dass ein Teil –die „Figur“ –vom Rest des Feldes –dem „Hintergrund“ –abgehoben wird. Dieses grundlegende Prinzip, welches ein rationales räumliches Organisieren des Umfelds ermöglicht, scheint bei den Werken, die Silke Maier-Gamauf bei dieser Ausstellung präsentiert, untergraben zu werden. Im Postkartenformat und mit Anspielung –durch Auslassung- auf erzbekannte Architektur besteht die Darstellung Wiens präzise aus den „Hintergründen“: silbrige Wolkencumuli, Abenddämmerungen mit Nebel oder unterschiedliche Intensitäten der Bläuen seines Himmels.
Zuletzt geht es um eine „Imago Urbis“, gegenwärtig par excellence: Es zeigt mit seiner U-Bahnlinienführung samt Umsteigemöglichkeiten die symbolischste und abstrakteste Darstellung Wiens. Das konzeptuelle Werk „Wien neu denken“ von Christoph Schwarz (Wien, 1981) denk nach über den Einfluss urbaner Politik auf die Konstruktion des Bildes der Stadt und über die Art, wie sie unser Handeln in ihr gestaltet. Christoph Schwarz’ Projekt wurde 2008 in Wien mit der Aktion „Häupl/Schicker/Steinbauer“ begonnen. Für die gegenwärtige Ausstellung zeigt der Künstler unterschiedliche Pläne des Wiener U-Bahnnetzes, die nach den „Wünschen“ verschiedener befragter Bürger erstellt wurden, und Möglichkeiten für eine zukünftige/fiktive Umformung seiner jetzigen Gestalt darstellen. Es ist ein kritisches Werk, welches Wien als Beispiel nimmt, um die Effizienz einiger politischer Kampagnen in demokratischen Länder zu hinterfragen, welche glauben machen wollen, dass sie sich den tatsächlichen Interessen der Bürger nähern.
Aus dem Katalanischen übersetzt von Heinrich Blechner
Katalog: „Greetingsfrom Vienna“
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